Galerie Blättermann

Redetext

Guten Abend, sehr geehrter Damen und Herren,

"Mit der elektronischen Datenübertragung haben wir eine Geschwindigkeit erreicht, die Raum und Zeit aufhebt und die Dinge im technischen Fluß der Bilder verschwinden läßt".' Diese Aussage zu Überlegungen des Gegenwartsphilosophen und Kulturkritikers Paolo Virilio wirkt wie ein Appell, sich dem progressiven Verschwinden immerhin für die Dauer einiger Momente zu entziehen.

Weniges erscheint geeigneter, dem Schwund der Wahrnehmung, dem Abbau ästhetischer und sensitiver Analysefähigkeit etwas entgegenzusetzen, als die Betrachtung von Kunstwerken. Vor allem solcher, die in unserer Zeit - aus unserem Realität heraus - entstanden sind, da diese sich zumeist erst im intensiven Dialog, durch bewußte "Zwiesprache" erschließen.

Die Bildwelten fordern und setzen aktive Auseinandersetzung gegen passive Konsumation - sie verlangen Aufmerksamkeit. Entsteht doch die Aussage eines Bildes - vor allem eines informellen - letztlich erst "im Auge des Betrachters", wie es Kandinsky einmal in Bezug auf seine abstrakten Kompositionen formuliert hat. Der "Entstehungsprozeß" solcher Arbeiten ist somit in gewisser Weise nie ganz abgeschlossen. Durch Betrachtung und Interpretation verbinden sich die in der Bildfläche fixierten Intentionen des Künstlers mit den Assoziationen jeder einzelnen betrachtenden Person zu neuen Einheiten, Ergebnissen, Vorstellungen.

Wie aber kann man sich den im Oeuvre Bernhard Merkerts meist abstrakten, "formlosen"(informellen), durch fluktuierendes und oszillierendes Spiel der Farbflächen entstehenden Bildwelten annähern? Wie ihre anfangs noch unidentifizierten, undechiffrierten Inhalte verstehen? Wie einen eigenen Zugang und Bezug dazu entwickeln? Bernhard Merkert experimentiert mit unterschiedlichen Inhalten und Darstellungsformen. Jede der Gattungen - Landschaft, Stilleben, Figurationen - atmet eine eigene Atmosphäre; sie bleiben einander dennoch durch die Verwendung ähnlicher malerischer Mittel verbunden; selbst bei so unterschiedlichen Techniken wie Holzschnitten gegenüber Acrylarbeiten. Merkert bevorzugt die sensible Diffusion der Farben; die Bildung, Durchdringung und Überlagerung sanft oder intensiv leuchtender Farbflächen, die Schichtung von Strukturen und Formen mit dem Ziel, das Motiv und seinen situativ-subjektiven Eindruck davon zu verweben; einen "sensiblen" Zugang zu dem Thema der Darstellung zu schaffen - für sich selbst wie für die Betrachtenden.

Sind die "Farb- und Lichtlandschaften" durch weitgehend abstrakt gehaltene, sich überlappende Farbflächen von amorpher Anmutung geprägt, so unterwerfen die "Stadtimpressionen" die Farbfelder eher ordnenden, strukturierenden Prinzipien. Sich diffus durchdringende und überlagernde, scheinbar organisch-zufällig-gebildetet Farbfelder, die die naturbasierten Lichtlandschaft kennzeichnen, ersetzt Merkert bei seinen Stadtlandschaften durch vertikale, "ordnende" Lichtsäulen/ Farbflächen. Mit ähnlichen malerischen Mitteln - aber vermittels differenzierter Darstellung der Farbflächen-Konturen und ihrer Kolorierung - wird einmal Meeresgischt vorstellbar, ein anderes Mal Großstadt-Neonlicht oder auch die aufstrebenden Vertikalen einer städtischen Skyline.

Die schlichte Gegenüberstellung "Chaos contra Ordnung" griffe allerdings zu kurz. In jeder der beiden Gattungsvarianten Natur- und Stadtlandschaft, erlebt und manifestiert Bernhard Merkert eine ähnliche Annäherungsweise, die sowohl Chaos als auch Ordnung einschließt. Ebenso, wie er mit der Form und ihren transzendenten Zuständen experimentiert.

Mit dem Erfassen von Stimmungen (Licht, Atmosphäre, Raum) und ihrer Umsetzung auf der Leinwand mal in expressiverer, mal in beruhigterer Form als Folge des Arbeitsprozesses, übermittelt Merkert den Betrachtenden seine Sicht einer bestimmten Situation und einer konkreten sensitiven Verfassung.

Erlebte Eindrücke werden verwandelt und konserviert. Vor allem formal erheblich verfremdet werden sie insofern, als Merkert sie in einen abstrakten Code umsetzt. Sie werden aber nicht vollständig von der ehemals greifbaren Realität getrennt, da diese im Zustand vor der Abstraktion weiterexistiert (die Bilder tragen nicht zufällig bezuggebende Titel!).

So wie einige der Stadtlandschaften konkrete Straßenzüge wiedergeben, zeigen die unter den Begriff "Florales" gefaßten Stilleben zwar stark abstrahierte, aber dennoch entfernt an Reales erinnernde Objekte.

Bei den meisten Arbeiten Merkerts ist die Abstraktion des Informel so weit getrieben, daß auf jede Art räumlicher Perspektive verzichtet wird. Der Raum löst sich dennoch nicht völlig auf - er transformiert sich nur in eine Art offenes Schichtengebilde anstelle fest definierter Bezugspunkte. Merkert arbeitet im dynamischen Übereinanderlegen der Farbebenen auf der Leinwand - die Werke stellen somit immer auch eine Prozeßiteration dar. Stimmungen, Farben, Formen, können sich im Verlauf dieser Prozesse verändern aufgewühlte, expressive Anfänge sich zu beruhigten Formen mildern und wandeln. Raum und Gestaltung folgen organischen Prozessen, "leben" förmlich darin.

Im Unterschied zu den Farb- und Lichtlandschaften sowie den Stilleben experimentiert Merkert in seinen figurativen Lithographien mit stark kontrastreichen Elementen, mit begrenzenden Konturen inmitten von laviert wirkenden Grauwertstufen. Figurale Elemente sind in wie untrennbar miteinander verflochtenen Gruppen dargestellt, aus denen die eine oder andere Figur "ausgegrenzt" ( - so auch der Titel der Themengruppe) wird oder zumindest so erscheint. Das Element der "Abgrenzung" deutet sich zwar auch mit Hilfe der eingesetzten Bildsprache an. Dennoch sind die Linien und lavierten Flächen so eng verschmolzen, die Übergänge der Figuren zum dazwischen und dahinterliegenden Raum derart fließend, daß auch hier ein eher malerischer als graphischer Effekt und der Eindruck von verwobenen Raumschichten entsteht - anders, aber nicht unähnlich den Farb- und Lichtlandschaften.

Meine Damen und Herren, ich erkläre die Ausstellung für eröffnet - lassen Sie die Bilder auf sich wirken ............... nehmen Sie wahr !

18.03.2000 Jessica Schmidt, Kunsthistorikerin M.A. München

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