BBBank Karlsruhe

Redetext

Auszug der Einführungsrede von Prof. Dr. Helmut G. Schütz

(...) 1992 beginnt die Ausstellungstätigkeit. Seitdem gibt es regelmäßige Beteiligungen und Einzelausstellungen mit guten Verkauferfolgen. Zugleich setzte in der Mitte der 90-er Jahre eine beeindruckende Produktivität ein.

Als ich einen ersten Blick in das Bilderlager von Bernhard Merkert werfen durfte, war mir zunächst nicht bewusst, dass diese Fülle von Leinwänden in kleinen, mittleren und großem Format in einem einigen Jahrzehnt gemalt worden waren. Doch dann wurde mir klar, dass hier nicht ein gereifter und abgeklärter Künstler routiniert seinem Tagewerk nachgeht, sondern dass Bernhard Merkert sich von der Malerei hat packen lassen, so wie Paul Klee von seiner Tunesienreise schrieb, als er das Kolorit für sich entdeckt hatte: „Die Farbe hat mich“, schrieb er in sein Tagebuch, „Sie hat mich für immer, ich weiß das.“

Der unakademische, der eigenständige und durchaus unkonventionelle Zugang zur Malerei, den Merkert sich erarbeitet hat, führte auch dazu, dass die Entwicklung sich nicht in einer Weise vollzieht, wie wir das von vielen Biografien kennen. Es gibt bei ihm nicht die üblichen Schübe, aus denen sich kurze Phasen ergeben, die jeweils durch einen neuen Impuls ausgelöst werden. Es wäre durchaus legitim, den Zeitraum der letzten 14 Jahre, wie sie hier durch Werke repräsentiert sind, als eine einzige Entwicklungsphase zu verstehen. Dann wird man feststellen, dass zu Anfang noch flächiges Weiß die Folie für einzelne Farbereignisse bildet, die ihrerseits durch partiell heranreichende Konturen in Schwarz Festigkeit und ein gewisses Maß an figurativer Konsistenz gewinnen. Bei den Beständen der Nichtfarben Weiß und Schwarz handelt es sich um neutralisierende Werte, die in der Lage sind, laute Farbkontraste zu mildern und auszubalancieren.

Doch je stärker die Farbe für Merkert an Autonomie gewinnt, umso mehr drängt er die so genannten Nichtfarben zurück, bis er fast nur noch mit Buntfarben malt, mit ihnen lebt und geradezu in ihnen schwelgt. Symptomatisch hierfür sind die mittelformatigen Bilder – 4 tragen keinen Titel und 4 sind vom Künstler als „Farblandschaften“ gekennzeichnet – im Erdgeschoss um den großen Kubus. Diese Bilder leben ganz aus einem einheitlichen Farbklang. Aus einer Farbe heraus entwickelt sich eine Komposition – es dominiert Rot, Gelb, Orange oder Blau, und kontrastierende oder komplementäre Töne kommen hinzu wie eine begleitende zweite und dritte Stimme. In der Tat, diese zur Monochromie tendierende Gruppe hat eine musikalische Qualität. Es sind Klänge, in denen die Kräfte der Farben einander mit größter Leichtigkeit und wie im Spiel begegnen.

Wenn Sie den Duktus der Malerei von Merkert beobachten, mögen Sie sich sowohl an informelle als auch an impressionistische Kunst erinnert fühlen. Merkert malt mit Acrylfarben; das sind mit Wasser verdünnte und mit Kunstharz gebundene Pigmente. Im Gegensatz zu der langsam trocknenden Ölfarbe trocknen sie schnell und erfordern infolgedessen auch ein rasches Arbeiten. Doch im Gegensatz zu den informellen Künstlern überlässt Merkert nicht dem Pinsel und der rinnenden Farbe ihren freien Lauf, sondern er setzt die Farbe bei aller Leichtigkeit kontrolliert, so dass die Komposition nie ins Ungleichgewicht gerät. Harmonie und Balance wird immer angestrebt.
Bei der zuerst angesprochenen Werkgruppe stellt sich auch die Frage, was an diesen „Farblandschaften“ wohl landschaftlich ist und was abstrakt, und ob nicht gar die Farbe hier als konkreter Wert die Leinwand bedeckt – völlig autonom und ohne jede Verbindung zur Welt der sichtbaren Realität. Müssen wir diese Frage wirklich definitiv beantworten, oder ist es nicht eher so, dass wir als Betrachter hier zum aktiven Sehen angeregt werden sollen? Ich bin sicher: Wenn Sie mit einem solchen Bild leben, werden sie heute einen Landschaftraum sehen, morgen einen Farbklang wahrnehmen und übermorgen …?

Für Bernhard Merkert ist Malerei ein offenes Konzept, eine nicht relationale Sprache. Das heißt, wir haben keine Chance, zu seinen Bildern einen Zugang zu gewinnen, wenn wir versuchen, die sichtbaren Teilaspekte 1 zu 1 in Realität zu übersetzen. Merkert fordert vom Betrachter dasselbe Maß von Offenheit, das seine Werke mit sich führen. Und Offenheit bedeutet auch eine gewisse Milde sowie Toleranz im Urteil und mit sich selbst. Ich muss nicht gleich alles verstehen und erklären können. Die schnellen Antworten sind meistens auch die vorschnellen, die sich bald als die falschen erweisen. Und unser Auge will auch morgen noch etwas zu tun haben, wenn ich das bereits einmal gesehene Bild wieder sehe.

Die Malerei von Bernhard Merkert stellt nicht nur einen Wert an sich dar, den zu genießen und zu würdigen sich lohnt. Diese Malerei führt sozusagen auf ihrer Rückseite noch eine recht komplexe Botschaft mit sich, die einen ethischen und einen kunsttheoretischen Aspekt hat. Das ethische Moment zeigt sich in der Aufforderung zur Toleranz, die an der Grenze des Ästhetischen nicht Halt macht. Und das theoretische Moment wird erkennbar, wenn wir die Bilder mit den Augen ergründen und finden, dass sie viel Raum bieten für unsere eigenen Projektionen, Träume und Wünsche. Mit anderen Worten: Die Malerei von Merkert vermittelt uns auch Fingerzeige, welches wohl die angemessene Haltung sei für eine Begegnung mit Kunst im Allgemeinen und dieser natürlich im Besonderen.

Wir hatten mit der Betrachtung derjenigen Malereien begonnen, die zwischen Abstraktion und Landschaft changieren und hatten uns deren Entwicklung vergewissert. Diese Entwicklung stellt sozusagen eine vertikale Achse in Merkerts Malerei dar. Daneben gibt es als horizontale Achse die Motivgruppen. Hier sind noch zu nennen: Die figurativen, die floralen und die skripturalen Bilder. Sie alle folgen dem offenen Konzept und verlangen den offenen Betrachter. In den figurativen Bildern lässt sich weder die Gestalt eines Menschen noch eines Tiers erkennen. In sie ist lediglich das allgemeine Prinzip der Figuration eingegangen. Es dominieren vertikale, aber nicht näher bestimmbare Bewegungen und Gesten. Wenn Sie mögen, können Sie sagen, dass es sich um abstrakte Malerei handelt, die in der Lage ist, figurative Assoziationen hervorzurufen.

Die floralen Bilder zeigen uns weder Blumen noch andere Pflanzen. Auch hier ist es der Duktus, der direkt aus dem Arm heraus über den Pinsel auf der Leinwand Formen schafft, die uns an Vegetabiles erinnern.
Die skripturalen Bilder sind diejenigen, in denen das Grafische sich noch am deutlichsten durchgehalten hat. Die flüssig bewegte Linie, die bisweilen an eine nicht eindeutig ablesbare Schrift erinnert, nennt man eine skripturale. Skripturale Bilder erzählen lange Geschichten ohne Handlung.

Als Betrachter kann man sich in sie versenken, man kann mit dem Auge die Schreibspuren verfolgen und in sie eine eigene Geschichte projizieren. Auch skripturale Bilder haben eine musikalische Anmutung, und aus denen von Merkert meine ich manchmal die unendlichen und schmerzhaften Motive Wagnerscher Musik zu hören.

Die Skulpturen im EG und im Treppenhaus sprechen eine eigene und so ferne Bildsprache, dass man sie angesichts der leuchtenden Farben der Merkert‘schen Malerei leicht ausblenden kann. Dann gibt es hier im Halbrund eine Gruppe von 7 Bildtafeln der Karlsruher Malerin Elke Wree, die wie auf Bestellung mit den skripturalen Bildern von Merkert korrespondieren. So kommt es zu einem erfreulichen Dialog zwischen zwei Künstlern, und für uns ist es eine Herausforderung, Gemeinsamkeiten und Differenzen zu entdecken.

In diesem Jahr sind ganz spielerisch und sozusagen unter der Hand im Atelier von Bernhard Merkert einige malerische Miniaturen auf Holzstückchen entstanden. Sie befinden sich in der Vitrine, und sie liegen weder flach, noch hängen sie vertikal an der Wand wie ein Tafelbild. Merkert hat sie in gewundene vierkantige Alu-Drähte eingebunden, von denen sie hochgehalten und präsentiert werden. Der Alu-Draht ist ein plastisches Gebilde, eine Art informelle Staffelei, mit welcher der Maler den Schritt in den realen Raum vollzieht. Hier hat sich unversehens ein Experimentierfeld eröffnet, das noch mit einigen Überraschungen aufwarten könnte.

Aber vorerst ist und bleibt das zentrale Arbeitsgebiet von Bernhard Merkert die Farbe auf der Fläche. Hier schafft er eine offene Malerei, die keine Fragen beantwortet nach dem Sinn des Lebens, die auch keine Rezepte dafür bereitstellt, wie man glücklich leben könnte. Diese Malerei ist vielmehr eine Art Musikinstrument, und wir als Betrachter sind eingeladen, mit den Augen darauf zu improvisieren und ihr Klänge zu entlocken, die eigentlich aus uns selbst kommen und von deren Existenz wir bisher noch gar nichts gewusst hatten.

© Helmut G. Schütz

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